Aus: Landshuter Zeitung vom 24. Oktober 2009
Die große Geschichte auf kleinem Raum
Danzig und seine Bedeutung im Zweiten Weltkrieg – Soldatengräber als Mahnung
Von Michael Betz
Gedenkkränze mit rot-weißen Schleifen liegen vor den Steinkreuzen. Ein Adler wacht als eisernes Relief über den Toten. Unter den Steinplatten liegen polnische Soldaten, Gefallene der ersten Kämpfe des Zweiten Weltkrieges. Hier auf der Westerplatte, einer kleinen Insel vor dem Hafen von Danzig, ist ein Ort, wo sich Geschichte konzentriert: Von hier nahm vor fast genau 70 Jahren der Zweite Weltkrieg seinen Anfang. An die Toten des Krieges und die Opfer der Gewalt in diesem Teil Polens erinnern heute Denkmäler und Friedhöfe. Um die Pflege deutscher Soldatengräber kümmert sich der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge, der mit einer Pressefahrt bayerische Journalisten über seine Arbeit rund um Danzig und in ganz Polen informierte.
Polen, Deutsche, der Zweite Weltkrieg — das sind auch heute, siebzig Jahre nach Beginn des Krieges, noch Themenfelder, die viel Sensibilität erfordern. Sechs Jahre hatte Polen unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft zu leiden, die nach dem Überfall am 1. September 1939 und dem schnellen deutschen Sieg im „Polenfeldzug“ errichtet worden war. Und auch in den von Deutschen besiedelten Gebieten wie etwa Danzig, forderte das Regime seine Opfer. In Polen standen die großen Konzentrationslager, wo planmäßig der Völkermord an den europäischen Juden begangen wurde. Und in den damals zum Deutschen Reich gehörenden Teilen des heutigen Polen trafen 1944/1945 Flucht und Vertreibung die Deutschen. Neues Leid, neues Unrecht — und das Ende einer jahrhundertelangen deutschen Prägung einiger heute polnischer Regionen und Städte wie zum Beispiel Danzig und eines lange Zeit friedlichen Zusammenlebens.Im deutschen Danzig der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg war die Westerplatte ein polnischer Hafen-Stützpunkt. Heute ist die inselartige Sandbank vor dem Danziger Hafen ein Gedenkpark. Im Zentrum steht eine 23 Meter hohe Granit-Stele auf einem künstlichen Hügel, das „Denkmal der Verteidiger der Küste“. Die Betonruinen einer Kaserne stehen beim Weg zum Denkmal, davor sind die Gräber der Verteidiger dieses Ortes: 218 polnische Soldaten unter dem Kommando von Major Henryk Sucharski kämpften vom 1. bis zum 8. September hier, 15 von ihnen fielen, der Rest ging in Gefangenschaft. Die Gräber sind heute Symbole des polnischen Widerstandes gegen den deutschen Angriff. Und wo im Hafenbecken schräg gegenüber der Westerplatte heute Frachter und Fährschiffe vor Anker liegen, schoß am 1. September 1939 um 4.45 Uhr (also eine Stunde früher als damals offiziell bekanntgegeben) das deutsche Marine-Schulschiff „Schleswig-Holstein“ auf die polnischen Stellungen.Der deutsche Überfall auf Polen war der Tiefpunkt der Beziehungen zwischen den Nachbarländern, wo jahrhundertelang Nationalitätenfragen keine problematische Rolle gespielt hatten, auch in Danzig nicht: 1308 kam die Stadt an der Weichselmündung unter die Herrschaft des Deutschen Ritterordens. Sie erfuhr in den folgenden Jahrzehnten einen wirtschaftlichen Aufschwung und wurde Mitglied der Hanse. Mitte des 15. Jahrhunderts begab sich Danzig unter den Schutz des polnischen Königs, 1793 kam es im Rahmen der Aufteilung Polens zwischen Preußen, Russland und Österreich zu Preußen. Erst nach dem Ersten Weltkrieg entwickelte sich die Nationalitätenfrage zu einem Problem, das letztlich in Gewalt mündete: Im Versailler Vertrag wurde Danzig zum Freistaat erklärt und zudem vom übrigen Reichsgebiet abgetrennt, Polen erhielt durch den sogenannten „Korridor“ einen Zugang zur Ostsee.Über Jahrhunderte wechselnder deutscher und polnischer Herrschaft blühte Danzig; viele der prachtvollen Bauten der Altstadt waren während der polnischen Herrschaft entstanden — kulturelle Toleranz war lange Zeit möglich. Als diese Toleranz durch den Nationalismus zerstört wurde, waren die Folgen für Danzig katastrophal: 95 Prozent der Altstadt wurden durch zwei schwere Luftangriffe 1942 und 1943 sowie im Frühjahr 1945 bei der Einnahme durch die Sowjets zerstört. Und ganz Polen wurde ein Schlachtfeld: 468000 deutsche Gefallene der Kämpfe 1939 und 1944/1945 beim sowjetischen Vormarsch liegen heute in Polen begraben.Seit 1991 kann der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge in Polen arbeiten und baute seitdem mehrere Sammelfriedhöfe und sanierte zudem Gräber des Ersten Weltkrieges, als hier Deutsche gegen Russen kämpften. In Danzig gibt es ein Gräberfeld mit 720 Toten des Zweiten und rund 1000 Toten des Ersten Weltkrieges. Dieser Soldatenfriedhof ist Teil des städtischen Friedhofs von Danzig. Im Rahmen der Volksbund-Pressefahrt wurde auch der deutsche Soldatenfriedhof Mlawka besucht, er liegt etwa auf halbem Weg zwischen Warschau und Danzig. Hier wurde zwischen 1940 und 1944 von der deutschen Wehrmacht ein Gräberfeld angelegt. Zu den 1300 damals bestatteten Soldaten kamen in den 90er Jahren noch rund 10000 Gefallene hinzu, die der Volksbund auf der 1995/1996 neu gestalteten Anlage bestattete.Unabhängig von einer politisch-gesellschaftlichen Bewertung des Krieges und seiner Folgen sind die Gräber eine Mahnung gegen Krieg und Gewalt. Gerade in Polen kann durch die Kriegsgräber „eine gemeinsame schmerzliche Vergangenheit geschlossen werden ohne sie zu vergessen“, wie von polnischer Seite bei der Einweihung eines deutschen Soldatenfriedhofes betont wurde. So wurde und wird aus dem leidgeprüften Land zwischen Danzig und Ostpreußen kein Schauplatz mehr für Krieg und Gewalt — und aus Polen und Deutschen werden ganz normale und gute Nachbarn.
Terror, Flucht und Abwehrkampf
Das Ende des Zweiten Weltkrieges an der Ostseeküste
Anfang und Ende des Zweiten Weltkrieges sind eng mit der Stadt Danzig verbunden: Hier fielen schon am ersten Tag dieses Krieges Schüsse, in der Region um die Stadt herum wurde noch im Mai 1945 gekämpft. In einem kleinen Ort nahe Danzig zeigten sich auch Rassenwahn und politischer Terror des NS-Regimes: Im Konzentrationslager Stutthof wurden zehntausende Polen, Juden und Osteuropäer ermordet.
1939 waren die Kämpfe um Danzig relativ schnell beendet: Acht Tage nach dem Kriegsbeginn am 1. September kapitulierten die polnischen Truppen auf der Insel Westerplatte vor Danzig. Doch schon am ersten Tag des Krieges begann der braune Terror: Sofort wurden 1500 Bürger Danzigs festgenommen, vor allem im wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Leben aktive Polen. 150 von ihnen wurden am 2. September nach Stutthof östlich von Danzig gebracht. Hier baute das Regime ein Konzentrationslager, das bis Mai 1945 in Betrieb blieb. Männer, Frauen und Kinder aus ganz Europa wurden hier interniert, rund 70000 Menschen wurden im Lager ermordet — Gaskammer und Krematorium sind noch heute im Lager als Zeugnisse diesesSchreckens zu sehen.1945 zeigten sich in der Region Danzig die beiden Seiten des Kampfes der Wehrmacht: Auf der einen Seite ermöglichte der Widerstand deutscher Soldaten gegen die Sowjets trotz einer aussichtslosen Kriegslage noch die Flucht hunderttausender Zivilisten, andererseits nutzte das Regime den Schutz dieser Front, um den Terror seiner SS-Truppen im KZ Stutthof fortzusetzen. Seit dem 12. Januar 1945 stemmten sich die Deutschen gegen eine sowjetische Großoffensive. Die deutsche Zivilbevölkerung aus dem Raum zwischen dem Baltikum, Ostpreußen und Danzig floh vor der Roten Armee. Die Wehrmacht sicherte durch die Verteidigung der Küste bei Danzig den Flüchtlingen das Entkommen auf Schiffen über die Ostsee nach Westen.Auch wenn die Sowjets Ende März Danzig einnehmen konnten, kämpfte die Wehrmacht weiter im Raum östlich zwischen Danzig und der Ostseeküste, dabei trug die Hauptlast der Kämpfe die 7. Infanteriedivision, in der zum großen Teil Soldaten aus dem Großraum München dienten, Teil der Truppe war auch das Infanterieregiment 62 mit dem Heimatstandort Landshut. 200 Quadratkilometer Fläche hatte im Frühjahr 1945 der Kessel, den die Deutschen noch hielten.Innerhalb des Kessels lag auch bis zu ihrer Aufgabe am 18. März 1945 die Marienburg, Sitz des Deutschen Ordens im Mittelalter und größte Backsteinburg Europas. An dieser Stelle schließt sich der geschichtliche Kreis zum Beginn des Zweiten Weltkrieges wieder: Um dieses einst als Nationalsymbol geltende Bauwerk kämpften bei Kriegsende 1945 unter anderem auch Marinesoldaten von der „Schleswig-Holstein“, dem Schiff, das am 1. September 1939 den Krieg bei Danzig begonnen hatte.
Bildunterschriften:
Das Denkmal der Verteidiger der Stellung Westerplatte bei Danzig und die Gräber der polnischen Gefallen vom September 1939.
Der Friedhof Bartosze (Bartossen) im ehemaligen Ostpreußen ist einer großen Sammelfriedhöfe, die der Volksbund für deutsche Gefallene in Polen angelegt hat.
Krematorium (rechts) und Gaskammer des Konzentrationslagers Stutthof bei Danzig, das heute als Gedenkstätte zu besichtigen ist.
Die Altstadt von Danzig mit dem Krantor aus dem 14. Jahrhundert, einer alten Ladeeinrichtung für Schiffe. — Auf dem deutschen Soldatenfriedhof Mlawka zwischen Warschau und Danzig liegen 11433 deutsche Soldaten des Ersten und Zweiten Weltkrieges. (Fotos: Michael Betz)